October 20, 2016 -

As told to T. Cole Rachel, 1954 words.

Tags: Music, Inspiration, Focus, Success.

Stevie Nicks, die Romantikerin

Aus einem Gespräch mit T. Cole Rachel
Übersetzt von Anja Fulle
October 20, 2016
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Wirst du oft gefragt, wie du deine Songs komponierst?

Sehr oft! Weißt du, man fragt mich immer wieder: „Schreibst du über Menschen? Schreibst du über Liebesbeziehungen? Schreibst du darüber, was gerade los ist? Oder schreibst du über deine Vergangenheit? Wie bringst du all diese Erinnerungen unter einen Hut?” Ich antworte darauf immer, dass du als Autor nicht nur einen einzigen Stil hast. Du schreibst einfach darüber, was dich in diesem Moment inspiriert. Wenn in diesem Moment gerade der Song “Missing You” von John Waite läuft und dich inspiriert, dann ist das eben deine Inspiration. Damals, als ich mit Joe Walsh zusammen war, war das unser Song, und immer, wenn ich ihn höre, berührt er mich tief. In Gedanken gehe ich dann zu diesem Lebensabschnitt zurück und wenn ich wollte, könnte ich jedes Mal sofort zum Klavier rennen und einen neuen Song komponieren. Ich gebe diesem Impuls zwar nicht mehr jedes Mal nach, aber der Song ist eine echte Inspiration für mich.

Oder wenn ich zum Beispiel im Auto sitze und auf meine Assistentin warte, dann sehe ich da vielleicht ein Pärchen am Auto vorbeigehen … ihre Hände berühren sich leicht, er öffnet ihr die Autotür, er sieht ihr in die Augen, sie sehen sich an, ohne ein Wort zu sagen, und einen Moment lang bleibt die Zeit stehen … danach kann ich nach Hause gehen und einen Song darüber schreiben. Oder wenn ich einen Film im Kino sehe, sagen wir mal The Light Between Oceans mit Michael Fassbender. Einen Film, den man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Diese Tragödie ist so intensiv, so wunderschön, man erträgt es kaum, und dann gehst du nach Hause und der Film geht dir noch tagelang durch den Kopf. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen und einen Song darüber zu schreiben; einen Song über diese fiktive Liebesbeziehung, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht.

Also wenn mich Leute nach meiner Methode zum Songwriting fragen, dann sage ich ihnen: Achte auf deine Gefühle. Welches Gefühl auch immer. Einfach alle Gefühle. Und ja – ich kann einen super-romantischen Song schreiben, selbst wenn selbst gerade nicht in einer Beziehung bin und auch schon lange keine mehr hatte. Ich kann Ideen einfach so aus der Luft greifen, aber dazu muss ich mich richtig inspiriert fühlen. Es muss etwas sein, dass mich so sehr inspiriert, dass ich mich hinsetze und ein Gedicht darüber schreibe. Und, wenn ich die Zeit dazu habe, führt mich dieses Gedicht dann ans Klavier, und dann wird ein Song daraus. So lief das bei mir schon immer, seit meinem 15. Lebensjahr.

Du hast gerade die Verbindung zwischen Poesie und Songwriting erwähnt. Sind Songs und Gedichte deine Art, Sinn in dieser Welt zu finden?

Genau das ist es, das ist meine Art. Weißt du, wenn du einen Roman schreibst oder einen Film drehst über das, was in der Welt vor Langes, Episches. Aber wenn du ein Gedicht schreibst, dann kann das nur eine Seite lang sein – oder nur zwei, drei Verse lang. In der Poesie kannst du mit wenigen Worten eine ganze Story erzählen und deine Meinung rüberbringen. Ich habe auch noch nie eine lange Story geschrieben, ich wüsste gar nicht, wie das geht. Aber Gedichte und Songs erlauben mir, auf eine Weise über diese Dinge zu reden, die mir liegt.

Wenn ich zum Beispiel an Twilight denke, diese Saga, diese endlos lange Geschichte. Ich frage mich: „Wie hat es diese Frau fertiggebracht, diese Bücher zu schreiben, wie hat sie sich nur all diese Charaktere ausgedacht, die verschiedenen Generationen und ihre Hintergrundstories?” Ich könnte das nicht, nie im Leben. Mein Ding wäre eher: “Wie wäre es mit einem Song darüber?” Und genau das habe ich getan – ich habe einen Song über diese Bücher, die ich absolut liebe, geschrieben. Der Titel ist „Moonlight”. Ich habe mein ganzes Herz in einen kleinen Song über die Story von Bella und Edward gelegt.

Ich denke, Dichter und Songwriter haben eine Menge gemeinsam, denn ein Songwriter muss an erster Stelle eigentlich ein Dichter sein. So leben wir unser Leben; es ist dieselbe Art von Gedankengang. Im Gegenteil zu Romanschriftstellern oder Filmemachern verpacken wir unsere Stories in kleine Päckchen mit ein paar Zeilen oder Versen. So drücken wir die Dinge aus, die wir empfinden und wie wir uns die Welt und uns selbst erklären. Also, um auf deine Frage zurückzukommen … was immer du mich gefragt hast, die Antwort ist Ja!

Ich finde das wirklich schön, dass du so romantisch bist. Vor allem, da vielen Leuten, die lange im Showbiz waren, irgendwann die Romantik abhandenkommt. Sie stumpfen ab, werden bitter — was nicht unbedingt eine gute Voraussetzung für kreatives Schaffen ist.

Ja, das ist sehr traurig, denn wenn du kein Romantiker mehr bist, kannst du auch kein Dichter mehr sein. Wenn du glaubst, du seist weiterhin ein Dichter, dann wirst du ein lausiger Dichter sein, und niemand wird deine Gedichte lesen wollen, denn sie werden stumpf und armselig sein. Wenn du nichts zu Papier bringen kannst, was die Leute inspiriert, werden sie es nicht lesen. Sie werden sich deine Werke ansehen und sagen: „Diese Person ist am Ende. Diese Karriere ist am Ende.“

Das ist unsere Bestimmung – die Menschen zu inspirieren, Gefühle auszulösen. Vielleicht möchtest du sie zum Schluchzen bringen, genau so, wie du letzthin mit deinen Freunden im Kino geschluchzt hast — ich war mit zwei Freunden im Kino und wir kamen aus dem Schluchzen gar nicht mehr heraus, wir konnten uns kaum ansehen – das ist etwas wirklich Schönes. Wenn du das nicht rüberbringst oder wenn du die Menschen nicht mehr zum Lachen bringen oder die Erinnerung an ihre erste Liebe wachrufen kannst, dann solltest du einfach aufhören. Du solltest nicht deine bisherige Karriere zerstören, indem du weitermachst, obwohl du es nicht mehr drauf hast und deine Arbeit nicht mehr von Herzen kommt. Du solltest dann einfach nur dein Geld zählen oder in Immobilien investieren und fertig, das war´s. Beschäftige dich einfach mit etwas Anderem.

Für viele junge Künstler bist du eine Inspiration. Ich muss an den TED Talk von Tavi Gevinson 2012 denken. Ihre Message für junge Frauen am Schluss war simpel: „Sei einfach wie Stevie Nicks.”

Ich kann dir sagen, während ich mir das Video ansah, dachte ich bei mir: “Das ist echt klasse, aber ich weiss nicht genau, warum sie mir das geschickt haben.“ Dann, so gegen Schluss ihres TED Talks denke ich, jetzt wird sie gleich die magische Bombe zünden. Alles, was sie bisher gesagt hat, zielt auf etwas Bestimmtes ab, man kann es ihr förmlich ansehen. Und dann sagt sie: „Ah, und noch was – sei einfach wie Stevie Nicks!“ Ich bin fast vom Stuhl gefallen!

Ich wusste, da kommt jetzt etwas, aber ich hatte keine Ahnung, dass es etwas mit mir zu tun haben könnte. Als sie dann diesen Satz losließ, wusste ich, das Mädchen ist Klasse![lacht] Ich habe mich danach sofort mit ihr in Verbindung gesetzt. Ich habe ihr einen meiner Gold-Monde geschickt mit einem langen, handgeschriebenen Brief. Wir sind seitdem richtig gute Freundinnen. Jedes Mal, wenn ich in Paris bin, bringe ich ihr ein paar goldene Plateau-Schuhe mit. Ich sehe mir ihre Broadway-Shows an. Vor Kurzem habe ich sie erst in The Crucible gesehen, was mich fast ins Grab gebracht hat – so eine finstere, unglückselige Story. Als wir uns anfreundeten, hat sie mir eine Aufnahme von „Landslide” geschickt, sie spielte die Guitarre und sang. Ich muss sagen – gar nicht so schlecht! Ich kann mich noch erinnern, wie ich dachte: „Für dieses Mädchen gibt es keine Grenzen. Sie wird die Welt erobern.” Es ist wunderbar, Andere zu inspirieren, selbst wenn du dir in diesem Moment dessen gar nicht bewusst bist. Es gibt dir den Antrieb, weiterzumachen. Ich weiß nicht, was ich sonst noch dazu zu sagen hätte, außer dass es einen unglaublich schmeichelt und es umwerfend ist, zu wissen, dass etwas, was du erschaffen hast, jemand Anderen so berührt oder angespornt hat … oder dass du irgendwie ein Beispiel gegeben hast, einfach indem du dein Ding machst und dein Bestes gibst.

Vor Kurzem erst hast du eine fast dreijährige Tour mit Fleetwood Mac abgeschlossen und jetzt bist du schon wieder auf dem Sprung zu einer Solo-Tour. Stellt sich bei dir nach so vielen Touren eigentlich immer noch ein kreativer Rush ein, wenn du eine Tour vorbereitest?

Oh, ja, total! Es ist ja nicht nur die Musik, sondern du musst dir ja auch Gedanken machen zu all den anderen Dingen, die zu einem weiblichen Performer gehören, wie Stiefel und Kleider und all das. Da sitzt du dann mit deiner Crew und versuchst herauszufinden, welche der 30 Songs, die du geprobt hast, letztendlich in die Show kommen. Es ist aufregend! Wir haben auch nicht so viel Zeit für die Vorbereitung. Bei meinen Solo-Tours geht es etwas lockerer zu. Bei Fleetwood Mac proben wir acht Wochen am Stück, jeden Tag; Proben werden großgeschrieben. Mit meiner Solo-Band proben wir nicht so viel, es ist ja auch ein kleineres Ding. Wir fahren einfach los. Jetzt gerade fühle ich mich ein wenig unruhig, weil das Ganze wie ein D-Zug auf mich zurast. Das ist immer so, im letzten Moment stehe ich da wie gelähmt und denke “Oh Gott, übermorgen ist es soweit!“ Aber andererseits ist das auch gut so, denn je schneller der Zug rollt, desto aufregender wird es und dir bleibt gar nichts anderes übrig, als aufzuspringen. Manchmal denke ich, dass ich gerade deswegen so lange weitermachen konnte – weil ich nie vom Zug abgesprungen bin. [lacht] Was sollte ich auch sonst tun?

  • Unabhängig von Fleetwood Mac veröffentlichte Stevie Nicks 1981 ihr erstes Solo-Album, Bella Donna. Das Album wurde damals über sechs Millionen Mal verkauft, und 2016 in einer Deluxe-Edition neu aufgelegt. Der Titel “After the Glitter Fades” – eine frühe Abhandlung über die Schatten- und Sonnenseiten eines plötzlichen Ruhms - ist auch heute noch einer der beliebtesten Songs des Albums.

  • “Stand Back” ist nicht nur einer von Nicks größten Hits (mit einer legendären Synthesizer-Einlage von Prince) sondern auch eines der meistgesehenen Musikvideos der frühen 80er, ein Mix aus Windmaschinen und Ballet-inspirierter Choreografie, in dem Stevie Nicks ein neonbeleuchtetes Laufband hinunter stolziert. Dies war jedoch nicht Nicks Originalversion des Videos. In der berühmt-berüchtigten “Scarlett”-Version, die später verworfen wurde, reitet Stevie mit angsterfülltem Gesicht auf einem durchgegangen Pferd und tanzt sich durch eine Reihe Soldaten aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. (Es ist unbedingt empfehlenswert, sich dieses Video mit Nicks ironischen Kommentaren anzusehen.)

  • Der Titelsong von Stevies zweitem Solo-Album, The Wild Heart(1982)hat sich in den letzten Jahren zum Fan-Liebling entwickelt, nicht zuletzt dank diesem Video von 1981, in dem Stevie Backstage während er Make-up-Session den Song zum Besten gibt. Bon Iver nannte den Clip “my favorite YouTube video of all-time” und nahm ihn 2016 als einen der Snippets von Musikern, die ihn inspiriert hatten, in sein Album 22, A Million auf.

  • Obwohl Fleetwood Mac-Fans bei der Veröffentlichung 1979 von Tusk der Meinung waren, das Album sei ein unwürdiger und schwerfälliger Nachfolger des Mega-Millionen-Erfolgs Rumours, wurde das Album später fast zum Mythos. Es festigte nicht nur Nicks Status als treibende Songwriter-Kraft der Gruppe, sondern auch ihr Image der mystischen Göttin einer anderen Dimension, wie man unschwer in diesem Clip von „Sister of the Moon“ während der Tusk-Tour sehen kann.

  • Stevie Nicks ist eine der wenigen Künstlerinnen, deren Œuvre und Ästhetik ständig neue Generationen von übereifrigen Fans hervorbringt. Ein Beweis dafür ist die Night of A Thousand Stevies – ein jährliches Treffen, bei dem sich seit 1991 Hunderte von Menschen treffen, um dem Stevie-Kult zu frönen – ein Wirbelwind aus Tamburinen, flatternden Schals, Traumbildern und Weißflügeltauben.