April 19, 2018 -

As told to Julian Brimmers, 3558 words.

Tags: Writing, Curation, Process, Beginnings, Collaboration, Success, German.

Ricarda Messner über Energie und Enthusiasmus

Ein Interview mit Verlegerin und Kuratorin Ricarda Messner
  Copied link to article!

Zum ersten mal in deinem Berufsleben arbeitest du nicht ausschließlich selbstständig – wie läuft die Umstellung?

Ich bin schon ein relativ bequemer Mensch. Dieses von zuhause aus arbeiten, dieses tägliche, eigene Motivieren war in den letzten anderthalb Jahre etwas schwierig. Klar bin ich mit Leuten per Email in Kontakt, aber du siehst ja die ganze Zeit nur dich selbst und hast keinen anderen Input. Ins Büro gehen, arbeitende Leute um dich herum haben, das macht schon einen Unterschied. Man ist viel mehr auf Zack.

Aber generell bin ich gar nicht so ein Fan von dieser Trennung von Arbeit und Privatleben. Die Dinge, die ich mache und die mich beschäftigen, sind ja ein Teil von mir - warum soll ich das außen vor lassen? Aber die letzten 5, 6 Jahre gab es bei mir nichts zu trennen.

ricarda-messner-1.png

Die Sao Paulo-Ausgabe vom Flaneur ist soeben erschienen, ein neues Sofa Magazin ist in der Produktion. Wie kriegst du die Zeit rum zwischen Produktionsende und Erscheinungstermin?

Der Zeitraum ist in der Tat relativ lang und jetzt sogar noch länger geworden. Flaneur haben wir bis zur vierten Ausgabe zwei mal im Jahr gemacht und dann haben wir uns erstmal im Kollektiv hinsetzen müssen. Wir sind als Fremde in dieses Projekt gestartet und wir wurden ein bisschen von der Aufmerksamkeit überrollt. Leute haben über uns geschrieben, das Konzept schien für viele interessant. Also haben wir schnell weitergemacht. In dieser ersten Phase, in der man festsetzt, das finden wir gut, das finden wir nicht gut, lernt man sich auch untereinander besser kennen. Jeder hat sein Ego. Natürlich muss man irgendwann allein aus finanziellen Gründen sagen, dass das Magazin zweimal im Jahr zu machen extrem viel abverlangt, auch emotional. Sich auf so unterschiedliche Orte und Kulturen einzulassen, ist wirklich krass. Wir wollten bewusst eine längere Phase haben, um die Beziehungen, die wir vor Ort mit den Leuten aufgebaut haben, weiterführen zu können. Für das Projekt war das wichtig.

Produktionstechnisch war Flaneur von der ersten Ausgabe an sehr ambitioniert. Mit der Erfahrung von 5 Jahren, wie bewertest du den Start des Magazins?

Alles an Flaneur ist einer wahnsinnigen Naivität geschuldet. Wirklich, extreme Unwissenheit. Es gab die Idee, sich pro Ausgabe einer Straße zu widmen. Dann haben wir uns im Team zusammengefunden: Ich bringe das heraus, Fabian {Saul} und Grashina {Gabelmann} machen den Editor-Job, Michelle Phillips und Johannes Conrad AKA Studio YUKIKO die Grafik. Ich war 23, die anderen hatten schon mehr Berufserfahrung, gerade unsere Art Direktion. Ohne zu wissen, was zum Beispiel die Größe für einen Einfluss aufs Porto hat, wurde das Format einfach festgesetzt. Der Magazinmarkt war mir völlig fremd, auch wenn ich immer gern gelesen habe.

Verlegerin werden ist jetzt ja kein so vorgelebter Traum wie Musiker oder Tennisstar…

Tennisstar wollte ich tatsächlich werden! Meine Knie haben nicht mitgemacht (lacht). Ich habe stattdessen an der UDK studiert, Gesellschafts und Wirtschaftskommunikation. 2011 haben wir in 6-monatiger Projektarbeit ein kleines Buch erstellt. Ich erinnere mich, dass das Erlebnis, 150-Seiten Dokumentation von seinem letzten halben Jahr ausgedruckt zu haben, ein unglaublich tolles Gefühl war. Damals habe ich gesagt, dass ich irgendwann mal ein eigenes Magazin mache. Das Straßenkonzept bot uns eine Herausforderung. Ich wusste, die Radikalität des Konzepts wird von Vorteil sein, um das Heft zu verkaufen.

ricarda-messner-2.jpg

Wie genau lief das ab?

Mit 23 hatte ich einen tollen Enthusiasmus, der mir geholfen hat, andere zu überzeugen. Die erste Ausgabe haben wir komplett mit Anzeigen finanziert. Ich bin da in Meetings rein, ohne dass mich irgendwer gekannt hätte. Vieles war einfach Glück - allein, dass wir damals die Kantstraße gewählt haben. 2013 war Berlin-Mitte mal wieder out und Leute haben nach Charlottenburg geschaut. Das waren Sachen, die man nicht vorher planen konnte. Vielleicht fanden die Partner es auch erfrischend, dass ich nicht mit dem professionellsten Mediakit hingegangen bin, sondern nur mit einem Team und einer Idee. Zuviel Professionalität nimmt vielleicht auch ein bisschen den Charme. Im Nachhinein wurde der Teil auch echt schwieriger.

Inwiefern?

Naja, wie kann es sein, dass es bei der ersten Ausgabe, wo es nichts Vorzeigbares gab, teilweise einfacher war, Leute zu überzeugen? Man hat fünf Ausgaben, die super aussehen, und hört öfters ein “Nein” als bei Gesprächen über eine Sache, die noch gar nicht existierte. Die Kreativindustrie lebt sehr von der Faszination, beim ersten Mal dabei sein zu wollen. Später auf etwas aufzusteigen ist uncool, das kenne ich auch von mir selbst. Am meisten mag ich es, Dinge neu zu starten, was vielleicht auch gar nicht so gut ist. Ich muss mich mehr auf das konzentrieren, was ich grade mache und wie ich es verbessern kann.

Du bist geboren und aufgewachsen in Berlin-Charlottenburg. Im Gegensatz zu den späteren Ausgaben war Flaneur #1 eine Erkundung deiner direkten Umgebung. Kannst du den internationalen Anspruch des Magazins mit der Motivation der ersten Ausgabe vergleichen?

In erster Linie war die erste Ausgabe von Flaneur ein therapeutisches Projekt. Die Idee ist in einer Phase entstanden, in der es mir nicht gut ging. Ich habe nach dem Studium in New York gelebt und hatte vor, dort meine Zukunft zu positionieren. Dazu kam die erste große Liebe. Es sind ein paar Sachen vorgefallen und ich musste nach Berlin zurück. Ein gutes Jahr war ich ziemlich neben der Spur. Damals hätte ich nicht wirklich für jemanden anders arbeiten, niemandem 100% Stabilität garantieren können. Ich musste mein eigener Boss werden, irgendetwas selbst schaffen, um überhaupt eine Tätigkeit zu haben.

Wie war dein Verhältnis zu Berlin, als du zurückkamst?

Ich hatte mit Berlin einige Probleme. Der internationale Hype ging 2010/2011 richtig los, alle kamen hierher und haben sich inspiriert gefühlt. Ich habe das wirklich nicht verstanden und war genervt, weil ich das Gefühl hatte, still zu stehen. Ich bin aus meiner eigenen Blase nicht herausgekommen. Ich wusste, in dieser Stadt muss etwas sein, aber ich komme da irgendwie nicht hin.

Ich brauchte in der Phase das Gefühl von Vertrautheit. Alles Neue, unbekannte Wege, Straßen die ich nicht kannte, lösten Panikattacken bei mir aus. Die Reizüberflutung in New York war vermutlich zu viel. Ich musste näher hinschauen und mich wirklich mit meiner Stadt auseinandersetzen. Die Kantstraße ist die Parallelstraße zum Kudamm, wo ich meine Teeniezeit verbracht habe. Damals fanden wir die Kantstraße komisch.

Woher kam die Idee, alles auf Englisch zu machen?

Das Interessante ist doch, dass eine Straße die verschiedensten, universellen Geschichten beinhaltet. Kann jemand, der in Tokyo lebt, die Kantstraße interessant finden? Mein Lieblingszitat über uns stand damals in der FAZ: wir seien “eine Chronik des Alltags”. Wir haben bislang in einem beigelegten Booklet ausgewählte Texte übersetzt, Sao Paulo ist die erste Ausgabe, die komplett zweisprachig ist. Das ist auch der Anspruch für alle weiteren Ausgaben.

Was ist denn der gewünschte Effekt eurer Aufmachung? Vor allem bei der Sao Paulo Ausgabe hat man ein starkes Überforderungsgefühl. So wie man in einer neuen Umgebung umherirrt, sucht man sich auch bei euch die Erzählungen und einzelnen Passagen aus einem großen Wimmelbild heraus.

Genau, das ist definitiv das Konzept. Das sind Diskussionen, die jede Ausgabe beschäftigen. Die Rom-Ausgabe ist noch eher magazinartig, mit kurzen inhaltlichen Erklärungen vor den Artikeln und so weiter. Das war immer ein großes Streitthema. Unsere Zeit vor Ort ist schlicht sehr überfordernd. Der Leser kann dieses Gefühl natürlich nicht eins zu eins mitbekommen. Wir lösen es dadurch auf, dass man teilweise gar nicht weiß, wer spricht hier gerade? Wo geht es los und wo weiter? So fühlt es sich eben auch für uns an.

ricarda-messner-3.png

Habt ihr vor Ort schon einmal gedacht, irgendwie wäre die Straße zwei Blocks weiter noch besser gewesen?

Nein, eigentlich könnte man jede Straße nehmen. Die Entscheidung wird meistens durch irgendein Gefühl ausgelöst, das dann auch den inhaltlichen Rahmen vorgibt. Bei der Leipzig-Ausgabe haben wir uns zum Beispiel eher unwohl gefühlt und wussten nicht, warum das so ist. Die Straße hatte eine wahnsinnige Leere. Bei der Recherche merkten wir dann, dass es dort mal viel Leben gegeben hat. Der Rahmen der Leipziger Ausgabe war insbesondere geprägt von einer Archivarbeit über das vormalige Versprechen der Stadt. Dieses Grundgefühl der ersten Wochen führt uns durch die Ausgabe. Es gibt kein richtiges oder falsches Gefühl, deshalb haben wir auch nie gedacht, wir hätten besser eine andere Straße gewählt. Wir “entschuldigen” uns ja im Vorwort jeder Ausgabe, dass wir nur Fragmente abbilden, total subjektiv.

Welche Verantwortung hat man denn als Außenseiter gegenüber der Stadt und der Kultur in die man eintritt?

Wir sind uns unserer Rolle als Außenseiter, als Touristen sogar, immer bewusst. Deshalb ist es wichtig, dass die eigentlichen Arbeiten von lokalen Leuten entstehen. Die Contributor sind immer Leute vor Ort, die ihre Geschichten für uns erarbeiten. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, empathisch zu bleiben und viel zuzuhören. Das ist im Grunde eine Aufforderung, uns an die Hand zu nehmen. Dabei ist Geduld wichtig. Fabian und Grashina sind wirklich zwei Monate vor Ort, was ein riesiger Luxus für so ein Indie-Projekt ist. Auch das haben wir zu Beginn einfach festgesetzt. Bei der dritten Ausgabe, Montreal, wurde uns klar, was das eigentlich für die Finanzierung heißt. Ich hätte auch sagen können, wir machen nur drei Wochen und Schluss. Aber dann wäre das Projekt nicht, was es ist. Die Gespräche und das Vertrauen kriegst du sonst gar nicht aufgebaut.

Wie lange bist Du in der Regel vor Ort?

Ich war bei der Montreal-Ausgabe auch die volle Zeit vor Ort. Danach hat sich das auf etwa drei, dreieinhalb Wochen eingependelt.

Die Konzeption und die Fertigung des Endprodukts entstehen aus einer gewissen Distanz, die inhaltliche Arbeit entsteht in direkter Nähe.

Genau. Ein Beispiel: Gleich beim ersten Treffen mit Fabian habe ich gespürt, dass er nicht nur sehr belesen ist, sondern auch die Fähigkeit hat, sich sehr viel in kurzer Zeit anzueignen. Bevor wir irgendwo ankommen, taucht Fabian in die Recherche über die Stadt ein. Er spricht am ehesten auf Augenhöhe mit den Leuten vor Ort. Wenn man merkt, dass ein Besucher auf die Details achtet, fühlt man sich auch mehr wertgeschätzt. Wir sind ja kein journalistisches Projekt, aber gerade heute gibt es sehr viel oberflächlichen Journalismus. Viele Informationen entstehen aus der Ferne, weil das Internet uns eine neue Form der Nähe ermöglicht. Ich liebe das Internet dafür, dass es uns näher gebracht hat. Aber gerade im Journalismus ist das physische “vor Ort sein” ein ganz wichtiges Element.

ricarda-messner-4.jpg

Mit Flaneur bildet ihr vor allem den unmittelbaren Moment ab. Könnte man sagen, dass Sofa dein Zukunftsprojekt ist?

Gewissermaßen, obwohl wir uns bei Flaneur jeder Zeitlinie bedienen müssen, um im Moment zu arbeiten. Ich liebe die Zukunft, aber sie braucht nun mal die Vergangenheit. Jede Sofa Ausgabe wird einen Blick in die Zukunft durch die Linse des Jetzt werfen.

Sofa habe ich mit Caia Hagel zusammen gegründet. Caia und ich haben uns 2014 über die Montreal-Ausgabe von Flaneur kennengelernt. Wir haben seitdem tausende Stunden über Skype gesprochen und Emails hin und her geschickt. Zwei Jahre später kam der Wunsch auf, etwas Gemeinsames zu machen. Ich war 26 und hatte meine eigenen Interessen und meine Stimme mehr gefunden. Mir war von Anfang an klar, dass ich mich vom Geschäftsmodell von Flaneur verabschieden musste. Ich wollte runterkommen von der hochqualitativen Produktion, was auch zum trashy Konzept des Magazins passt. Bei Sofa ist alles glossy gedruckt und zusammengetackert. Ich wollte aus meinen Erfahrungen lernen, und von Anfang an gewisse Produktionsmechanismen berücksichtigen.

Zum Thema „von der Vergangenheit lernen“: Du hast kürzlich einen „Trauma Workshop“ für Kinder der 1990er organisiert. Worum ging es da?

Den habe ich zusammen mit meinem Freund, Andre Harris, in den Berliner Kunstwerken veranstaltet. Das ging ganz banal mit der Frage los, woran erinnere ich mich? Wie fühlen sich andere 90s Kids, was haben die für Traumata {lacht}? Ich hätte große Lust, daraus eine Projekt-Serie zu machen. So eine Ära wird ja ganz schnell von Leuten bestimmt, die damals schon erwachsen waren. Gerade die Popkultur mit ihrem merkwürdigen Recycle-Verhalten bietet die Möglichkeit, zu schauen, was wiederkommt und was das alles für das Hier und Jetzt bedeutet.

Wie stellst du das richtige Team für das jeweilige Projekt zusammen?

Auch da hängt viel vom Bauchgefühl ab. Du sprichst mit Leuten und merkst schnell, wer genauso von der Idee begeistert ist. Wenn ich schon am Anfang Überzeugungsarbeit leisten muss, dann ist es wohl nicht die richtige Mischung. Die Energie brauchen wir für später, um die Dinge umzusetzen. Bei kollaborativen Projekten ist es wie bei romantischen Beziehungen - wenn man am Anfang das Gefühl hat, man muss jemanden zu einem zweiten Date überreden, dann ist das zumindest für mich total uninteressant. Dieses jagen und gejagt werden wollen… naja, dann halt nicht [lacht].

Ähnlich geht es mir mit der Finanzierung über Marken und Geldgeber. Da ist etwas mehr Überzeugungsarbeit nötig, aber wenn mir jemand mit so einer klassischen Marketingbegründung absagt, dann weiß ich, es hätte eh nicht gepasst. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen arrogant, aber Marken sind auch auf mich zugekommen. Das meine ich mit der nötigen Geduld. Ich habe ein Grundvertrauen, dass Leute an dich herantreten, wenn du etwas machst, mit dem sie sich identifizieren können. Eines Tages findet man im Emailprogramm die entscheidende Nachricht. Das ist natürlich schwer einzuplanen, aber ich glaube, man braucht einen gesunden Mix aus Aktionismus und Geduld.

Fällt es dir denn leicht, Arbeit abzugeben?

Die Zusammenarbeit mit anderen Leuten macht mir am meisten Spaß. Das klingt jetzt blöd, aber teilweise habe ich sogar daran gedacht, in Richtung Talentscout zu gehen. Ich liebe es, Leute und ihre Persönlichkeiten kennenzulernen, und ihre Geschichten zu erzählen. Wahrscheinlich ist das auch die Rolle einer Verlegerin.

Zum Beispiel, im April produziere ich einen kleinen Dokumentarfilm. Mein Freund kommt aus Jamaika, er lebt seit drei Jahren in Berlin und war davor 15 Jahre in Amerika. Er hat mir von seiner Kindheit erzählt. Natürlich gibt es diese ganzen klischeehaften Narrative über Jamaika, Usain Bolt und so weiter. Wir wollten einen Weg für ihn finden, seine Kultur und sein Land für sich wieder zu entdecken und seine Geschichte zu erzählen. Mir macht es Spaß, anderer Leute Träume zu erfüllen. Deshalb auch Publishing Dreams, der Name meiner Edition. Alle haben ja ihre Geschichten. In welchem Medium die dann erzählt werden, ist im Endeffekt egal.

ricarda-messner-5.jpg

Hast Du dich schon mal so sehr in ein Projekt verrannt, dass du erst nach Monaten gemerkt hast, daraus wird nichts?

Ich glaube nicht. Mit Sofa haben wir schon ein Jahr pausiert und intern Gespräche geführt. Das ist das Tolle an Indie-Geschichten, es ist der eigene Rhythmus, der einem das Tempo vorgibt. Das Projekt ist eine Reflektion deines Lebens. Letztes Jahr war teilweise die Hölle los und ich musste mich erst mal sortieren und Dinge machen, die Geld reinbringen. Auch das ist eine Entscheidung, die man trifft. Hätte ich Sofa als Geschäftsmodell entwickelt, um mich davon zu ernähren, wäre auch meine Energie eine andere. Jetzt bekomme ich meine Miete eben über einen anderen Job herein. Natürlich haben wir den Anspruch, dass es sich trägt und finanziert, aber wir machen es aus anderen Beweggründen.

Fällt es dir leicht, solche Entscheidungen auch im Namen eines Teams zu treffen?

Naja. Bei Flaneur haben wir letztes Jahr ein intensives Workshop-Wochenende gemacht. Wir sind zu fünft an einen Punkt gekommen, an dem wir diskutieren mussten, ob etwas stagniert und warum das so ist. Es bedarf eines internen Verständnisses füreinander: warum legt der eine diese Geschwindigkeit an den Tag und der andere jene? Das ist gleichzeitig das Wichtigste und das Schwierigste an der Arbeit in einem Team.

Wie erreicht man so ein Verständnis?

Vor allem durch Transparenz. Man sollte sich nicht scheuen, zu sagen, wie es einem geht. Nicht nur Ideen, sondern auch die jeweilige Gefühlslage und die individuelle Beziehung zum Projekt muss man diskutieren. Es gab eine Phase, in der ich zum Beispiel gar nichts gefühlt habe. Meine Rolle als Gründerin und Verlegerin hat mich stellenweise total überfordert. Ich bin ohne klare Vision, ohne einen Finanzplan in das Projekt reingegangen, aber natürlich wollten alle von mir als Verlegerin hören, wie gewisse Sachen abzulaufen haben. Das hat mir definitiv viel abverlangt. Vielleicht ist das auch nicht die Sache, die mir am besten liegt. Ich glaube, ich kann Projekte gut initiieren, aber dieses Administrative ist ehrlich gesagt gar nicht meins und macht mir auch nicht so Spaß {lacht}.

Wie bewältigst du die langweiligeren Seiten deines Jobs mittlerweile?

Also, einen Steuerberater habe ich seit drei Jahren {lacht}. Das habe ich schnell ausgelagert. Leute um Rat und Hilfe bitten zu können, ist wichtig. Vieles kann man sich einfach nicht von alleine beibringen, wie auch? „Learning by doing“ klappt, ja, aber ab und zu braucht man auch einfach Menschen, die es einem zeigen. Ich weiß ganz gut, was ich kann und was nicht und ich habe keine Angst, nach Hilfe zu fragen.

Hättest du denn gerne ein regelmäßiges, monatliches oder wöchentliches Outlet? Egal ob Magazin, Zeitung, Ausstellung…

Ich habe das so ein bisschen mit dem täglichen Zeitmagazin-Newsletter. Ich schicke jeden Morgen einen Themenmix an Christoph Amend (Chefredakteur) und Matthias Kalle (stellv. Chefredakteur), dann produzieren wir die Inhalte und ich versende die Email um 17 Uhr. Dadurch, dass der Zeit-Verlag natürlich eine große Leserschaft erreicht, wurde mir zum ersten mal die Dimension bewusst, die man als Medienmacher hat. Ich empfinde das als eine irre Verantwortung. So entstehen auch Blasen, so werden kleine Welten kreiert. Als Redakteur hängt es an einem selbst, mehrere Quellen zu benutzen - was lese ich, was nehme ich wahr, was passiert außerhalb meines Facebook-Feeds. Das ist schon Arbeit, gerade in der heutigen Zeit. Wöchentlich oder monatlich ein Magazin machen, fände ich fast schon ein bisschen beängstigend.

Da du dich beim Zeitmagazin um den Social Media-Bereich kümmerst, bist du wahrscheinlich mit den extremsten Auswirkungen dessen konfrontiert.

Das ist echt so. Ich bin ein extrem sensibler Mensch und sehr empfänglich für die Gefühle meines Gegenübers. Was manchmal gar nicht so gut ist. Was ich jetzt lernen muss, ist, das Feedback auf bestimmte Themen von mir als Person zu trennen.

Was hast du als nächstes mit deinem Verlag vor?

Es gibt viele kleine und große Ideen. Zuletzt habe ich die “Talk to You Later” Library ins Leben gerufen – eine analoge Möglichkeit für Menschen, sich über ein Buch auszutauschen. Diese ganzen Feuilleton-Literaturkritiken sind für mich eher zweitrangig. Aber man schaut bei Freunden ja gern ins Buchregal. Es geht auch darum, den Ort der Bücherei, der außerhalb von Studiumszwecken ja beinahe ausgestorben ist, wiederzubringen. Also haben ich eine eigene Bücherei kuratiert. Jeder muss eine Notiz mit seinen Gedanken zum Buch dazulegen. Jemand anders leiht das Buch dann aus und stellt es samt Feedback zurück ins Regal. Die erste TTYL Library fand in Kollaboration mit der Villa Grisebach in Berlin statt.

Seit Längerem habe ich die grobe Idee für eine digitale Plattform, auf der man sich nur über Inhalte – nämlich das, was man liest – verbindet. Wie das dann genau aussehen soll, wird sich zeigen, aber für diese Idee bräuchte ich Startkapital. So bin ich noch nie etwas angegangen, also gleich mit einem Investment. Auch hier fände ich es toll, wenn es am Ende etwas werden könnte, das nicht nur unsere kleine kreativwirtschaftliche Blase anspricht, sondern genauso Leute, die gerne „50 Shades of Grey“ lesen. Ein demokratischer Ort im Internet, der unser Leseverhalten abbildet und uns verbinden und inspirieren kann.

Fühlst du dich als Indie-Verlegerin als Teil einer Szene?

Gar nicht. Ich habe totale Szenen-Phobie (lacht). Sozialer Druck macht mir Angst. Klar gibt es eine Berliner Szene und man kennt sich untereinander, aber ich bin dort kein beständiger Gast. Gerade heutzutage ist dieses exklusive Ding wahnsinnig falsch. Es zeigt sich doch, was das kulturell mit uns gemacht hat. Was wir uns auch selbst damit eingebrockt haben, Content nur für uns selbst zu produzieren. Auf einmal gibt es das böse Erwachen, „Oh, es gibt ja doch noch andere Leute, und die denken ganz anders, komisch“. Kreativszenen, so klein sie sein mögen, stehen in der Verantwortung, weniger arrogant zu sein. Und diese Verantwortung wahrzunehmen, heißt auch, zu reflektieren, wie wir die Welt porträtieren. Zum Beispiel im Reisebereich - ich will keine anderen Magazinnamen nennen, aber wir lassen einfach seit Jahren jeden Ort gleich aussehen, egal ob Singapur oder Marokko. Das kann doch nicht wahr sein! Mit der Arbeit und Zeit, die wir in Flaneur stecken, versuchen wir dem Trend, jeden Ort in ein Template reinzudrücken, entgegenzuwirken. Den Schuh müssen wir uns alle anziehen. Oder aber, wenn der große Gegenwind kommt, nicht immer so überrascht tun.

ricarda-messner-4.png

RICARDA EMPFIEHLT:

  • Spiel das Lieblingsspiel deiner Kindheit noch mal. Zurzeit hänge ich obsessiv vor The SIMS.

  • Höre Musik auf Radio.Garden, dort kannst Du in fast jede Radiostation weltweit einschalten (live!!!).

  • Schreib deine Gedanken und Emotionen auf, während du etwas liest, und lies ein Buch ein zweites Mal ein Jahr später. Faszinierend, was man so alles erinnert oder vergisst.

  • Downloade dein Facebook-Archiv, druck es aus und lies dein eigenes digitales Tagebuch. Entweder brauchst du dann keinen Therapeuten mehr, oder du brauchst dann so wirklich einen.

  • Bewahre dir einen Traum, den du nie realisieren wirst. Dann kannst du dir die wildesten Gedanken darüber machen, ohne dass sie je von der Realität zerstört werden.